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Jessies Angels Collies

Bei uns lebte zehn Jahre lang unsere Hündin Jessie. Sie war ein Langhaar-Collie-Mädchen, ein Traum von Hund und unser

Goldstück. Sie war aufmerksam, einfühlsam und gehorsam. Sie konnte aber auch, vor allem beim Spielen, egal ob mit anderen

Hunden oder mit Menschen, sehr temperamentvoll sein und war immer wachsam, was die Sicherheit ihres „Rudels“ betraf. Sie

war immer mit dabei, mochte stundenlange Spaziergänge, war auch gerne mit dem Auto unterwegs und genoss ihr Leben in

vollen Zügen.

Jedoch war sie schon als junger Hund sehr vorsichtig, wenn sie über unbekannte

Böden laufen sollte und noch nie mochte sie Treppen. Während andere Hunde

nur so herunter polterten, ging sie Stufe für Stufe einzeln und war natürlich

immer die Letzte. Vor unserer Haustür haben wir vier Stufen, aber weil das

wohl eine für sie überschaubare Distanz ist, hatte sie hier nie Probleme. Auch

mochte sie keine Gewitter und verzog sich unter Tische oder Stühle, damit ihr

der Himmel nicht auf den Kopf fiele. Dort klebte sie dann am Boden fest und

hechelte vor lauter Stress. Ihr Worst Case Scenario war Sylvester, sowie die

Tage davor, wenn schon mit Knallern gezündelt wird und danach, wenn Kinder

die Blindgänger verfeuern. Selbst wenn beim Gassi gehen ein Knaller vier

Straßen weiter hochging, kniff sie sofort den Schwanz ein und trabte

unverrichteter Geschäfte zur Haustür zurück.

Als sie etwa zweieinhalb Jahre alt war, wurde uns angeraten, sie wegen wiederholter Scheinträchtigkeiten kastrieren zu lassen.

Dazu fuhren wir in eine Tierklinik mit der Möglichkeit zur Gasnarkose, wovon wir sehr angetan waren. Schon damals hörte man,

gerade in Bezug auf Collies und andere englische Rassen von Überempfindlichkeiten auf diverse Narkosemittel und Wurmkur-

Mitteln. Von „Blut-Hirn-Schranke“ war da die Rede und dass schon mehrere Collies daran verstorben wären. Im Vorgespräch mit

der Anästhesistin wiesen wir nochmal darauf hin, dass Jessie ein solcher Kandidat wäre und sie bitte vorsichtig sein möge.

„Keine Sorge. Das kriegen wir schon hin. Wir machen das ja nicht zum ersten Mal“, sagte sie und injizierte dem Hund ins Bein

ein Mittel zur Beruhigung, welches vor der Narkose verabreicht wird. Als der Hund plötzlich umfiel, bevor die Spritze ganz leer

war, machte sie dann aber doch ein erstauntes Gesicht, denn das war ja noch nicht einmal die eigentliche Narkose. Unsere

Jessie hat den Eingriff aber gut überstanden und ihre beste Freundin Gina, die Hündin eines befreundeten Paars, war direkt

nach ihr dran.

Nach gut einer Stunde sollten wir die Hunde dann wieder abholen, nachdem sie aufgewacht wären. Nun ja, Freundin Gina

schaute ihre Familie aus etwas verklärten Augen auch schon wieder an, nur Jessie fehlte. Sie sei noch nicht aufgewacht, das

käme aber schon mal vor. Als sie aber zwei Stunden später noch immer nicht wach war, wurden wir etwas energischer und

wollten unseren Hund sehen. Um es kurz zu machen: Eine junge Tierärztin schaffte es dann mit Aufwachmitteln - und

aufsteigender Panik in den Augen - den Hund wieder wach zu kriegen. Das ist schon lange her und Jessie musste zum Glück nie

wieder operiert werden.

Als sie sieben Jahre alt war, wollte sie freiwillig gar keine Treppen mehr gehen. Nach Aufforderung ging sie nur widerwillig hinauf

oder hinunter und in unserem Haus begleitete sie uns nicht mehr gerne ins Obergeschoss, wenn wir schlafen gingen. Ansonsten

merkte man ihr allerdings keine Beeinträchtigungen an. Sie spielte viel, rannte unheimlich gerne einem Tennisball oder anderem

Wurfspielzeug hinterher und brachte es schnellstens wieder zurück, damit wir es wieder werfen konnten. Erst wenn die Zunge

auf dem Boden hing, wurde sie langsamer. „Jetzt ist Pause, Jessie“, hieß es dann und nur sehr ungern legte sie sich dann hin

um zu verschnaufen. Man schaffte es allerdings kaum, einen Kaffee leer zu trinken und schon stand sie, mit einer Plastikkarotte

im Fang, vor uns und forderte uns wieder zum werfen auf.

Irgendwann nach ihrem achten Geburtstag hatte sie dann aber erkennbare Probleme, eine Treppe zu steigen. Es scheiterte an

der ersten Stufe. Sie stieg mit den Vorderläufen die ersten zwei Stufen hinauf und fuchtelte mit einem Hinterlauf ein paar Mal in

der Luft herum, weil sie einfach die unterste Stufe nicht auf Anhieb traf. Zunächst realisiert man so etwas nicht wirklich, zumal

sie ja ohnehin schon immer eine Treppenabneigung hatte. Man denkt erst einmal, dass sie keine Lust hat und ihr

überdurchschnittlich vorhandenes schauspielerisches Talent zum Einsatz bringt. Aber nach einigen Monaten wurde dieses

Verhalten dann auffällig. Man merkte nun deutlich, dass es keine Sache des Wollens, sondern des Könnens war. Aber einen Reim

darauf machen, konnte sich zunächst trotzdem niemand.

Als sie dann jedoch beim Laufen die Füße nicht mehr richtig hochbekam und mit den Krallen der linken Hinterpfote über den

Boden kratzte, ließen wir dies von ihrem Tierarzt genauer untersuchen. Es wurde eine Röntgenaufnahme gemacht, die jedoch

keine besonderen Auffälligkeiten zeigte. Allerdings stellte auch der Arzt durch diverse Reflextests eine neuronale Schwäche fest.

Es sei, erklärte er uns, nicht immer möglich, auf einem normalen Röntgenfoto alle Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule zu

erkennen. Es wäre durchaus möglich, dass es Bandscheibenprobleme gibt. Dadurch könnte ein Nerv gequetscht oder geklemmt

sein, was dann zu den festgestellten Beeinträchtigungen führen könnte. Er verordnete eine Therapie mit Cortison und

Schmerzmitteln. Die Medikamente sollten über einen bestimmten Zeitraum gegeben und dann immer weiter reduziert werden

um letztlich „auszuschleichen“. Zunächst glaubten wir fest daran, dass es besser wurde. Ich denke auch heute noch nicht, dass

es nur Einbildung bzw. Wunschdenken war. Aber jedenfalls hielt die Wirkung nicht lange an. Schon wenige Wochen später war

ihr Gang mindestens so schlecht wie vor der Behandlung. Es musste etwas geschehen.

In Absprache mit dem Haustierarzt suchten wir eine Tierklinik in Hamburg auf, in der sogenannte minimalinvasive Operationen

an der Wirbelsäule durchgeführt werden können, um Bandscheibenvorfälle zu behandeln. Von einem solchen mussten wir ja

inzwischen ausgehen.

Natürlich hatten wir im Voraus, nachdem nun die Möglichkeit im Raume stand, dass unser Hund unters Messer muss, vieles zum

Thema Blut-Hirn-Schranke recherchiert, denn wir hatten das Drama bei ihrer Kastration natürlich nicht vergessen. Erstaunlich,

was sich in knapp 10 Jahren so alles entwickelt. Inzwischen ist das ganze kein Gerücht unter Colliebesitzern mehr, sondern eine

recht gut erforschte angeborene Krankheit. Wir mussten also ab sofort davon ausgehen, dass unsere Jessie einen Erbdefekt im

MDR1-Gen hat, der bei den Hunderassen Collie, Australian Shepherd, Shetland Sheepdog, Longhaired Whippet, Silken

Windhound, MacNab, English Shepherd, Weißer Schäferhund, Bobtail, Border Collie und Deutscher Schäferhund weit verbreitet

ist. Wie vieles aus Ihrer Vergangenheit nun plötzlich einen Sinn ergab. Übersensibel, Stressgeplagt, Nervös, Unsicher.

In Hamburg wurde Jessie unter Beachtung der Vorsichtsmaßnahmen für einen MDR1-Hund narkotisiert, was auch hervorragend

klappte. Dann wurde eine MRT (Magnet Resonanz Tomographie) durchgeführt. Während dieser Schichtaufnahmen liegt der Hund

in Rückenlage. Auf den MRT-Bildern sind auch die auf Röntgenbildern unsichtbaren krankhaften Veränderungen des Körpers

deutlich erkennbar. Man kann am Computer praktisch einmal durch den ganzen Hund scrollen. Es wurde dabei festgestellt, dass

Jessie einen überzähligen achten Lendenwirbel aufweist, dass einer der Wirbel einen Dornansatz aufweist, der so dort nicht

hingehört und dass sie darüber hinaus unter einer leichten Bandscheibenvorwölbung leidet. Die gewonnen Erkenntnisse sollten

direkt für die OP genutzt werden. Jessie schlief tief und fest und sollte nun in Bauchlage gebracht werden, um den kleinen

Eingriff von oben her vorzunehmen. Nach dem Umdrehen des Hundes zeigten die Monitore allerdings Auffälligkeiten. Der

Anästhesist empfahl, die OP umgehend abzubrechen, bevor sie überhaupt begann. Diese Probleme wären eine Auswirkung des

MDR1-Defekts, wurde uns später gesagt. Wir mussten uns damit abfinden, dass Jessies Fehlbildungen nicht korrigiert werden

konnten, weil damit gerechnet werden musste, dass sie den Eingriff nicht überlebt. Unverrichteter Dinge fuhren wir wieder nach

Hause.

Allerdings wurde Jessies Zustand mit der Zeit immer schlimmer. Und das in einem Umfang, welcher nicht mit ihren zuvor

festgestellten Wirbelsäulenproblemen im Einklang stand. Unser Tierarzt wollte noch einen weiteren genetischen Test

durchführen lassen, um einen anderen Verdacht ausschließen zu können. Das Ergebnis war jedoch leider nicht der erhoffte

Ausschluss, sonder nur die Bestätigung für seine Befürchtung. Jessie litt an einem weiteren genetischen Defekt, nämlich an

einer degenerativen Myelopathie (DM). Dies ist eine schwere neurodegenerative, also nervenzerstörende Erkrankung, die sich

zuerst durch unkoordinierte Bewegungen der Hinterhand, eine falsche Eigenwahrnehmung und gestörte Reflexe zeigt. Im

späteren Verlauf weitet sie sich auch auf die vorderen Gliedmaßen aus. Das heißt also, dass der Hund eine von hinten

beginnende Lähmung entwickelt, die sich auf ihrem Weg nach vorne nicht aufhalten lässt. So etwas zu hören, ist schrecklich. Als

Mensch damit umgehen zu müssen, den normalen Alltag zu bewältigen, ist für viele Leute sicherlich nicht machbar. Eine solchen

Diagnose bedeutet für viele betroffene Hunde das Ende.

Jessie sah ihr weiteres Leben allerdings deutlich pragmatischer als es ein

Mensch je könnte. Ein Tier verbittert nicht an körperlichen Einschränkungen.

Als Kind kannte ich einen dreibeinigen Schäferhund, der einfach mit seiner

Behinderung lebte und steinalt wurde. Auch Jessie hatte keine Probleme, sich

fortzubewegen. Schmerzen hatte sie ja keine und wenn der Hintern mal zu

schwer wurde stand sie sich einfach wieder auf. Als das schwieriger wurde,

haben wir ihr einen Rolli beschafft, in den ihre hinteren Beine eingehängt

wurden. Anfangs stand sie dem Ding sehr skeptisch gegenüber, aber als sie

verstand, welche Möglichkeiten sie jetzt wieder hatte, war es sofort ihr

Lieblingssportgerät. Man darf nicht vergessen: Dieser Hund war organisch kerngesund, hatte wache Augen, roch alles, hörte

alles, sah alles, naschte für sein Leben gern und hätte am liebsten die Katze verjagt, die da auf der Wiese lief. Der Rolli erlaubte

uns, wieder Stöckchen und Bälle zu werfen und Jessie raste mit Volldampf in ihrem Roadster hinterher.

Ich weiß nicht mehr, wie oft wir uns gefragt haben, wann der richtige Zeitpunkt wäre. Der Zeitpunkt, an dem wir keine Lösung

mehr finden würden, wie wir bislang immer eine gefunden hatten. Eines Tages musste ich feststellen, dass es ihr beim Gassi

gehen schwer fiel, mit ihrem Gespann in Schwung zu kommen. Auch am folgenden Tag war es nicht besser. Sie wollte auf ihre

Hundecouch und ich half ihr dabei. Dann sah sie uns an, als wenn sie sagen wollte, „Leute, jetzt müsst ihr was tun“. Als ihr

langjähriger Tierarzt und seine Frau zu uns kam, begrüßte sie ihn, indem sie seine Hand abschleckte, legte sich dann hin und

schloss die Augen, als wenn sie schlafen würde. Ich habe noch nie einen Hund gesehen, der friedlich die Augen geschlossen

hatte, während er über die Regenbogenbrücke ging.

Der Tierarzt, seine Frau, unser Sohn und wir beide saßen mit Tränen in den Augen noch eine viertel Stunde zusammen und

Jessie lag wie schlafend auf ihrer Couch.

Jessie

Langhaar Collies aus dem Herzen des Ruhrgebiets